Singen und Jetzt

Die Meisten verwechseln Dabeisein mit Erleben“ (Max Frisch)

 

Wer einmal meditiert hat weiss, dass das nicht so einfach ist mit dem Hier und Jetzt. Jetzt und jetzt und jetzt.. so ham.. ich bin.. kann man sich vorsagen, oder auch sich nur auf dem Atem konzentrieren.

Ab 1,5 Sekunden Fokussierung spricht man von Konzentration., ab 6 Sekunden von Meditation; und das schaffen die wenigsten ohne jahrelange Meditationspraxis.. Ich nehme den einfacheren Weg und singe. Warum es da leichter ist, verrate ich Euch später.

Letztenendlich mag unser Geist garnicht so gerne mitmachen, beim Verweilen im Jetzt. Er mag es abzuschweifen, im Vergangenen wühlen, unsere Zukunft vorher planen, Selbstgespräche zu führen, innerlich Briefe zu schreiben, aufzurollen und vorzuplanen. Als Kind gelingt es oft noch ganz gut, die Jugendlichen aber werden schon- heute mehr denn je- von Zukunftsängsten angeschrien, umso älter wir werden gleichen wir ab mit den Erfahrungen der Vergangenheit und kommen kaum nach mit Verarbeiten. Manchmal erkranken wir am Ende des Lebens noch an einer dementiellen Erkrankung und dann wird mit dem Jetzt noch komplexer- dann würfeln sich die Zeiten durcheinander, Vergangenheit fühlt sich realer an als heute und morgen verschwindet jenseits von Sorge.

Viele Dinge, die gut tun und die wir uns vornehmen zu praktizieren haben mit dem Landen im Hier und Jetzt zu tun- Yoga, Meditieren, Tai Chi, Spazierengehen oder auch nur Genuss. Wir wollen es eigentlich so gerne, da sein, abgeholt sein, den Moment geniessen. Wir suchen ihn, den Flow, dieses Aufgehen in der Gegenwart. Kindern scheint es so viel leichter zu fallen, sie gehen auf im Spiel, sind nicht rauszubringen aus ihrem Hier und Jetzt, werden ärgerlich, wenn man versucht, sie in den Alltag und Planung zu bringen.

Auch in Therapieformen haben Meditation, Achtsamkeitsübungen und die Hinwendung zum Moment längst Einzug gefunden. Man hat erkannt, dass Leiden auch immer mit dem Kopfkino drum herum zu tun hat, und so wirksam es ist, dieses Kopfkino manchmal zu entwirren und sich den Ursachen zuzuwenden, so „dran“ ist es manchmal, es einfach nur zu stoppen und zu sagen: Jetzt.-Jetzt-Jetzt!

Unser Kopf hilft uns nicht gerne dabei. „Meditation ist nicht das, was Du denkst“ steht auf einem meiner Yoga T-shirts. Unser Kopf rast. 60.000-80000 Gedanken haben wir an so normalen Tagen; wenn wir in Krisen und belastet sind mit Sicherheit mehr. Wir kreisen und kreisen und kreisen, wir denken vor, wir denken zurück, wir versuchen alles zu verarbeiten, was uns so begegnet auf dem Weg, bemühen uns, uns schonmal aufzustellen für alles, was da noch kommen mag. Die Zeit, in der wir leben, mit all ihren Medien und ihrer Fülle hilft uns nicht. Wir werden bombardiert mit News, mit Geräuschen, mit Ablenkungen, mit Informationen, mit Menschen, mit Überfluss und unser Kopf hat kaum eine Chance zu sortieren und sich auf eine Sache zu konzentrieren. Das Jetzt hat es schwer.

Handys läuten, Apps kündigen Zukünftiges an, Fotostreams ploppen auf und erinnern uns an Vergangenes, all die Technik setzt direkt an unserem Belohnungssystem an, und macht uns manchmal vielleicht das Leben auch leichter; um im Hier und Jetzt zu landen und uns auf eine Sache zu konzentrieren hilft es nicht. Unser Handy liebt es, uns abzulenken, unser Computer liebt es uns zu überschütten mit News, Angeboten, Begehrlichkeiten, Illusionen, wie wir sein, was wir machen, wie wir uns verbessern könnten, Werbung erzählt uns eh, was in der Zukunft alles möglich wäre, würden wir nur die richtige Entscheidung treffen, News und Zeitungen berichten über letztenendlich Vergangenes und wollen uns zum Nachdenken bringen - es heisst nicht ohne Grund: „...nichts ist so alt wie die Zeitung von Gestern“

Das Aussen, die Informatuionsquellen, die Apps, die Zeitung, social media. Sie bringen uns zum Nachdenken, in die Optimierung, ins Leben, halten uns mit anderen im Kontakt und helfen uns vieleleicht, reflektierte Menschen zu werden, organisieren und konzipieren uns immer wieder neu. Zufrieden machen sie uns nicht unbedingt.

 

Wir brauchen Pause. Wir brauchen Raum zum Sein. Zum Atmen. Zum Ankommen. Wir wollen den Punkt in uns spüren, der einfach ist. Bei dem wir sozusagen eine Punktlandung machen. Bei dem die Fragen weg sind, die Erfahrungen der Vergangenheit und die Sorgen der Zukunft. Wir wollen im Flow sein und bei diesem Teil unserer Selbst, der vielleicht sogar ein Stück weit völlig unabhängig ist von alledem.

So Ham- ich bin.

Es gibt einige Möglichkeiten dorthin zu kommen, von einigen habe ich berichtet, einige sind universell, einige vielleicht sehr individuell und rauszufinden. Für mich ist Singen eine Art, die sehr einzigartig ist; weil sie funktioniert. Man braucht nicht viel Selbstdisziplin, keine jahrelange Übung, keinen unbequemen Sitz. Das Singen holt einen ab, fast sofort. Der Klang erreicht meine Haut und dringt in die tiefsten Schichten vor, der Rhythmus erfasst meinen Körper, die Melodien erreichen meinen Kopf, so dass die Gedanken automatisch pausieren müssen. Singen dringt auf schönste Art so ein in unseren Organismus, so dass das Gedankenkreisen keine Chance mehr hat. Der Flow ist da. Fangen wir dann noch an uns zu bewegen, ist unser Körper und unsere Kopf so beschäftigt, dass alles integriert wird und sich übereinander schiebt. Unsere Gehirnwellen verlangsamen sich, der Augenblick hat eine Chance, ganz im Vordergrund zu sein.

Wir focussieren uns, wir tauchen ein, wir konzentrieren uns auf eine Sache, der Körper macht mit, der Klang und die anderen Stimmen helfen uns, alles zusammenzuschieben auf diesen einen Punkt, auf uns selbst. Wir fühlen uns gleichzeitig in etwas Grösserem geborgen und aufgelöst und bei uns.

Und dann fühlt sich das im Jetzt sein vielleicht auch anders an, als wir ursprünglich erwartet haben. Es gibt nichts mehr zu wollen. Es gibt nichts mehr zu reflektieren, es gibt nichts mehr zu planen oder einzuordnen. Das alles gibt uns ein ungeheures Gefühl von befriedet und befriedigt sein. Eine Zeit im Flow, bei uns selber, weg vom Ego, weg von allen Vorstellungen, im Kern unseres Selbst und unangestrengt von uns selbst. So ham- ich bin. Und das Ich trifft es im Deutschen noch nicht mal so ganz, weil kein ICH mehr da ist..

nur eins sein.

 

Im Hier und jetzt und Klang. So Ham